Wenn ich Grieche wär‘

Gut gelaunt bin ich heute morgen in mein Auto gestiegen und zur Arbeit gefahren. Bis, ja bis nach wenigen Minuten der erste von unvermeidlich vielen Beiträge zum Referendum der Griechen zu orakeln versuchte, was eh niemand weiß. Meine Laune war dahin. Auch weil ich darüber nachdenken musste, wie mein Leben als Grieche wohl gerade aussehen würde.

Ich kann es nicht mehr hören: Diese Großkotzigkeit, mit der meine Landsleute über Griechenland und das griechische Volk lästern. Die Dreistigkeit, mit der „wir“ anderen Faulheit attestieren und im Gegenzug tagelang jammern, sobald das Wetter hierzulande mal dieselben Temperaturen auffährt. Schließlich die völlige Ignoranz dessen, wie es uns an „deren“ Stelle ginge.

Ich arbeite als vergleichsweise junger Ingenieur in meiner Wunschbranche und habe eine ziemlich coole Aufgabe, die mich fordert und ausfüllt. In Griechenland wäre das so kaum möglich. Da könnte ich mich noch so strecken, da könnte ich noch so gut sein. Dort würde ich vielleicht Taxi fahren oder als Kellner jobben. Was es heißt, dass fast 60 Prozent aller jugendlichen keinen Job haben, können wir uns wahrscheinlich nicht einmal vorstellen.

Weiterhin: Ich bin Familienvater. Unser Kleiner bereitet meiner Frau und mir riesige Freude, wir haben ein schönes Leben und wenn wir zuhause gerade einmal nicht kochen wollen, gehen wir in ein Restaurant und essen da. Das mit dem Restaurant ist sicherlich optional, aber würde ich als Taxi fahrender Jungingenieur eine Familie gründen wollen? Womit denn?

Zu schlechter Letzt: Meine Krankheit. Ich bin gesegnet, in Deutschland zu leben, weil ich hier alle mögliche ärztliche Hilfe erfahre. Wie das als Grieche aussähe, mag ich mir gar nicht vorstellen. Aller Wahrscheinlichkeit wäre die Situation für mich ziemlich bedrohlich.

Nichts davon habe ich mir selbst erarbeitet. Ich profitiere davon, in einem reichen Land in ein gut situiertes Elternhaus hinein geboren worden zu sein. Wer bin ich, dass ich mich da über die Griechen erhebe, die dieses Glück nicht hatten?

Damit das klar ist: Ich zweifle nicht daran, dass in Griechenland über Jahrzehnte hinweg einiges schief gelaufen ist – und dass diese Formulierung ein ziemlicher Euphemismus ist. Einer Wirtschaft, die weitgehend vom Tourismus und ein wenig Landwirtschaft abhängig ist, fehlen die großen Erträge von produzierendem Gewerbe und internationalem Bank- und Versicherungsgewerbe. Das System von Vetternwirtschaft, Korruption und einer Kaste von Superreichen, die gar nicht daran denken, ordnungsgemäß ihre Steuern zu zahlen, ist eine dramatische Fehlentwicklung – geeignet, um jeden Staat dieser Welt von innen heraus zu zerstören.

Aber: Das wussten „wir“ doch alle vorher. Als der Euro im Jahr 2002 eingeführt wurde, war doch genau das die deutsche Hauptsorge: Dass da Nationen mit von der Partie sind, die viel schwächer sind als die BRD. Und dass wir unsere schöne, stabile D-Mark ausgerechnet für eine labile Einheitswährung mit all den schwachen Ländern aufgeben müssen. „Wir“ haben es trotzdem getan – und gehörten in den Jahren seither zu den großen Gewinnern einer eben nicht zu starken Währung.

Und noch mehr aber: Wir erwarten doch nicht ernsthaft, dass die Griechen in zwei Jahren hinkriegen, ihr Land mal eben umzukrempeln, oder? Nur zur Erinnerung: Wir haben die „blühenden Landschaften“ in 25 Jahren nicht hinbekommen. Außerhalb der großen Städte ist Ostdeutschland noch immer strukturschwach – und wir hatten wenigstens eine passabel funktionierende alte Bundesrepublik als Unterstützung.

Fakt ist, dass die bisherige Politik der Troika a.k.a. Institutionen gescheitert ist, was die handelnden Personen freilich nicht daran hindert, sie als Erfolgsmodell zu verkaufen. Griechenland und das griechische Volk haben schmerzhafte Einschnitte in Kauf nehmen müssen, aber es hat sich rein gar nichts verbessert im Land. Im Gegenteil: Das Bruttoinlandsprodukt ist Jahr für Jahr gesunken, die Wirtschaft geschrumpft.

Schlimmer noch: Sowohl die Säuglingssterblichkeit wie auch die Zahl der Suizide sind dramatisch gestiegen. Kurzum: Den Menschen geht es so scheiße, wie wir es nicht einmal erahnen können. Müssen wir ja auch nicht. Ereifern wir uns also lieber über fehlende Krawatten.

Die Griechen, die jetzt „OXI“ gesagt haben sind sich ziemlich sicher darüber im Klaren, dass es nicht automatisch besser wird, wenn es anders wird. Dass es aber anders werden muss, wenn es besser werden soll. „Nein“ zu sagen, obwohl die Folgen unabsehbar sind, ist nichts anderes als der Mut der Verzweiflung, weil man die unsäglichen Folgen eines „Ja“ (im Sinne von: weiter so) bereits kennengelernt hat.

Und wir Deutschen? Ein Volk von Besitzstandswahrern, das jeder Sozial- oder Steuerreform, die das eigene Portemonnaie auch nur um ein paar Cent erleichtert, mit feindseliger Ablehnung begegnet, besitzt die Chuzpe, einer anderen Nation das Gürtel-enger-schnallen anzuempfehlen. Ausgerechnet wir, die von der Krise der südeuropäischen Länder via Zinssatz am meisten profitieren und diese durch unseren hohen Exportüberschuss noch zusätzlich befeuern. Ausgerechnet Wolfgang Schäuble, Protagonist der CDU-Spendenaffäre Mitte der 90er Jahre, mimt in diesem Spiel den seriösen Saubermann – mit einer Hauptstadtjournalie, die ihm an den Lippen hängt.

Das macht mich wütend. Und hilflos.

4 Gedanken zu „Wenn ich Grieche wär‘

  1. sternburg

    Ich kann Dir weder bei Deiner Wut, noch bei Deiner Hilflosigkeit helfen.

    Aber Du hast mit Deinen Zeilen mir etwas bei meiner geholfen. Weil es bei allen Zumutungen schön ist, dass noch Menschen da sind, die diese Zumutungen als solche erkennen.

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  2. kingkenny7

    Ich kann nur zustimmen. Momentan arbeite ich gerade daran, mich selbständig zu machen. Als Grieche könnte ich das in der aktuellen Situation komplett vergessen und wäre froh, meinen Job zu behalten.

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